Kurz vor Weihnachten haben wir die Nürnberger Bundestagsabgeordnete, Tessa Ganserer, zum Interview und Glühweintrinken getroffen. Gesprochen haben wir mit ihr unter anderem über ihre Weihnachtsrituale und ihren Alltag im Bundestag.
Zum Hintergrund: Tessa Ganserer ist eine von zwei transgeschlechtlichen Personen im Bundestag. Zuvor war sie Abgeordnete im bayerischen Landtag.
Hallo Frau Ganserer, schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Haben Sie schon Glühwein getrunken in diesem Jahr?
Nein, das ist jetzt die erste Tasse Glühwein in dieser Adventszeit. Ich bin auch noch gar nicht dazu gekommen, Plätzchen zu backen. Für mich gehört es zur Vorweihnachtszeit einfach dazu, mit den Kindern gemeinsam zu backen. Da kommt bei mir erst so richtig Weihnachtsstimmung auf.
Der Christkindlesmarkt wurde in diesem Jahr leider kurzfristig abgesagt. Was ist ihr Weihnachtsmarkt-Ersatz dieses Jahr?
Ehrlich gesagt habe ich noch überhaupt keine Zeit gefunden, einen Ersatz zu finden. Ich finde es bitter, dass wir gerade wieder solche Maßnahmen brauchen. Corona ist nach wie vor ein sehr ernst zu nehmendes Thema, da wir kurz davor sind, das Gesundheitssystem zu überlasten. Ich bin der Überzeugung, dass wir so harte Maßnahmen brauchen, so schwer es auch für alle Menschen ist. In diesen schwierigen Zeiten müssen wir uns alle zurücknehmen, um als Gesellschaft gut durch die Pandemie zu kommen.
„Ich finde es bitter, dass wir gerade wieder solche Maßnahmen brauchen.“
Tessa Ganserer
Im Bundestag haben Sie Weihnachten noch nicht erlebt, dafür aber im bayerischen Landtag. Haben Sie dort zusammen die Vorweihnachtszeit gefeiert – wie können wir uns das vorstellen, ist der ein oder andere Platz auch schön geschmückt?
Im bayerischen Landtag stand der Christbaum immer im steinernen Saal vor dem Sitzungssaal. Wir waren im Ausschuss für den öffentlichen Dienst, dem ich acht Jahre angehört habe, in der Adventszeit auch immer interfraktionell am Weihnachtsmarkt. Traditionell ging das politische Jahr immer mit der Weihnachtsfeier der Fraktion zu Ende. Es gibt etwas Ähnliches im Bundestag, aber die Zusammenkunft wurde jetzt abgesagt. Aufgrund der Corona-Pandemie müssen wir uns als Politik zurücknehmen und können so große Zusammenkünfte nicht mehr verantworten.
Haben Sie denn irgendwelche Anekdoten von einer Weihnachtsfeier, an die Sie sich gern erinnern?
Es waren immer schöne Anlässe, das Jahr gemeinsam mit allen ausklingen zu lassen. Zur Weihnachtsfeier sind oft die persönlichen Mitarbeiter*innen der Abgeordneten aus den Wahlkreis-Büros gekommen. Mit ihnen hat man zwar immer wieder etwas zu tun, aber im Tagesgeschäft sieht man sie nicht täglich. Es ist schön, die Menschen mit denen man arbeitet, auch mal persönlich kennenzulernen.
Seit drei Monaten sind sie nun Mitglied des Bundestags. Können wir uns Ihren ersten Tag im Bundestag wie einen ersten Schultag vorstellen?
Es kommt darauf an, was Sie als den ersten Tag sehen. Nach dem Wahlsonntag ging es am Montag mit vielen Telefoninterviews los. Ich musste auch direkt meine Koffer packen, da ich am Montagabend schon den ersten Termin in Berlin hatte. In dieser Woche gab es ein unglaublich hohes Medien-Interesse.
„Für mich war es aber mehr vergleichbar mit dem ersten Tag an der weiterführenden Schule.“
Tessa Ganserer über ihren ersten Tag im Bundestag
Mit dem ersten Schultag wird aber häufig eher der 26. Oktober, die konstituierende Sitzung des deutschen Bundestages, verglichen. Für mich war es aber mehr vergleichbar mit dem ersten Tag an der weiterführenden Schule. Parlamentsbetrieb und die Rolle einer Mandatsträgerin kannte ich ja schon aus dem bayerischen Landtag. Es ist trotzdem ein besonderes Erlebnis, das erste Mal im Saal zu sitzen und bei den Abstimmungen mit dabei zu sein.
Sie sind jetzt schon einige Zeit in Berlin, haben Sie sich mittlerweile gut eingelebt?
So weit ist es noch nicht, da ich in den letzten Wochen damit beschäftigt war, das Büro zum Laufen zu bekommen. Der richtige politische Betrieb wird erst Anfang nächsten Jahres starten. Das jetzt war mehr eine Übergangszeit. Ich bin auch bisher noch gar nicht dazu gekommen, mir in Berlin eine Wohnung zu suchen und übernachte momentan noch in einem Hotel. Darum werde ich mich dann Anfang nächstes Jahres kümmern und mit Sicherheit auch Zeit finden, um Berlin privat kennenzulernen.
Das heißt Sie pendeln aktuell noch viel von Nürnberg nach Berlin?
Ja, das wird auch so bleiben. Natürlich ist es wichtig, auch den Kontakt und den Austausch mit Verbänden zu suchen und die Forderungen der Wähler*innen mit nach Berlin zu tragen. Mein Lebensmittelpunkt wird allerdings hier in der Frankenmetropole bleiben.
„Mein Lebensmittelpunkt wird allerdings hier in der Frankenmetropole bleiben.“
Tessa Ganserer
Sie sind als eine von zwei transgeschlechtlichen Personen in den Bundestag eingezogen. Es ist das erste Mal, dass transgeschlechtliche Personen überhaupt im Bundestag vertreten sind. Wie sehr haben Sie sich gefreut, als feststand, dass Sie einziehen werden?
Es hat mich wahnsinnig gefreut, dass ich in den nächsten Jahren im deutschen Bundestag Politik mitgestalten darf. Ich habe mich auch sehr für meine Partei-Freundin Nyke Slawik gefreut. Diese Wahl ist ein deutliches Zeichen für Akzeptanz und eine offene Gesellschaft. Die Nachricht ging um die ganze Welt.
In vielen Ländern dieser Welt ist es nach wie vor so, dass queere Menschen massiv verfolgt werden und Regierungen gegen LSTBQ hetzen. Da ist die Nachricht über unseren Einzug in den deutschen Bundestag für viele Menschen ein echter Hoffnungsschimmer.
Haben Sie mit der Rückmeldung und den internationalen Berichten gerechnet?
Das war mir klar, auch wenn das ganze Medieninteresse es mir wahnsinnig schwer gemacht hat. Ich wusste, dass ich nicht einfach von einen Tag auf den anderen als die Frau, die ich eigentlich schon immer war, in den Landtag gehen kann und, dass mein Coming-out in meiner aktiven Amtszeit ein enormes Medieninteresse wecken wird. Da war mir auch klar, dass Häme, Spott und Hass in den sozialen Medien nicht ausbleiben werden.
„Ich wusste, dass ich nicht einfach von einen Tag auf den anderen als die Frau, die ich eigentlich schon immer war, in den Landtag gehen kann und, dass mein Coming-out in meiner aktiven Amtszeit ein enormes Medieninteresse wecken wird.“
Tessa Ganserer
Wenn über Sie als neues Bundestagsmitglied berichtet wird, ist oft der Aufhänger, dass Sie als eine der ersten transgeschlechtlichen Personen in den Bundestag einziehen. Haben sie manchmal das Gefühl, dass sie in dem Moment in Ihrer politischen Tätigkeit darauf reduziert werden?
Es ist immer wieder Thema. Wenn ich merke, es geht ausschließlich um meine persönliche Lebensgeschichte und weniger um meine politischen Themen, sage ich im Zweifelsfall auch mal Medienanfragen ab. Trotzdem denke ich, dass ich mit meiner Biographie und meinen politischen Botschaften einen Beitrag zur Akzeptanz leisten kann. Deshalb bin ich offen und gerne bereit, darüber zu sprechen.
Wenn wir jetzt zu Ihrer Zeit im Bundestag gehen: Was sind ihre großen persönlichen Ziele im Bundestag?
Als Abgeordnete ist man in der Regel auf ein Schwerpunktthema konzentriert. Ich möchte mich aber nicht nur auf ein Thema reduzieren und in der Bundesregierung in den nächsten vier Jahren die großen Herausforderungen unserer Zeit in Angriff zu nehmen. Das sind drei große Bereiche: die Aufgaben zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, die soziale Gerechtigkeit und das Eintreten für eine tolerante Gesellschaft und ein gutes und Respektvolles Miteinander.
Sie haben bereits erzählt, dass Sie Ihren Lebensmittelpunkt in Nürnberg verbringen werden. Wie bringen sie denn Familie und Arbeit zusammen? Schafft man es dann auch mal, abzuschalten von der Arbeit?
Das ist eine Sache, die man lernen muss, wenn man ein politisches Mandat hat. Die Welt geht nicht unter, nur weil man mal ein paar Tage abschaltet. Für mich persönlich ist es wichtig, mal zur Ruhe zu kommen. Gerade Weihnachten und der Jahreswechsel sind so eine Zeit. Da muss ich einfach alle elektronischen Geräte wegsperren lassen und mich von meinen Kommunikationskanälen fernhalten, damit ich abschalten kann.
Wie verbringen Sie denn Weihnachten in diesem Jahr?
So genau haben wir das noch nicht durchgeplant. Aber Weihnachten ist immer die Zeit, um die Familie zu besuchen. Ich werde mit Sicherheit ein paar Tage in meiner alten Heimat, dem bayerischen Wald, verbringen, wo meine Schwester und mein Vater leben.
Vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit für das Interview genommen haben. Wir wünschen Ihnen eine schöne Weihnachtszeit.
Hier findest du das Video-Interview mit Tessa Ganserer in voller Länge.
Interview: Nina Bundels | Fragen und Transkription: Nina Bundels und Isabell Schlecht