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StadtSo beurteilt der Leiter der Heilsarmee die Obdachlosen-Situation

Wer an Gostenhof denkt, denkt vermutlich an das Hipster-Viertel oder das Viertel mit – im Vergleich zu anderen Stadtteilen – halbwegs bezahlbaren Mieten. Vor einem roten Backsteingebäude mit großen Fenstern in der Gostenhofer Hauptstraße tummelt sich eine Gruppe von Männern, die sich unterhält. Obdachlose, wie sich später noch herausstellen wird. Das Gebäude hinter ihnen beherbergt die Heilsarmee, eine christlich-soziale Einrichtung, ursprünglich gegründet im Jahr 1865 in London. Dieses recht unscheinbare Gebäude bietet diesen Menschen einen Zufluchtsort, eine Heimat, ein Zuhause.

Wir, Simon Rüger (Fotos und Videos) und Isabell Schlecht (Redaktion) gehen rein.

Im Erdgeschoss-Büro wartet Kilian Brandenburg auf uns, der Einrichtungsleiter der Heilsarmee. Er trägt ein rosanes Hemd und eine Brille. Sich selbst bezeichnet Brandenburg als “gesellig”. Einen Eindruck, den wir nur teilen können.

In seiner Freizeit ist er gerne draußen, fährt Fahrrad und fotografiert. Er hat Spaß an neuen Herausforderungen. Genau das, wovor ihn die Bewohner in der Heilsarmee jeden Tag aufs Neue stellen.

Obdachlose am Rande der Gesellschaft

In unserer Artikelserie beschäftigen wir uns mit der Obdachlosen Situation in Nürnberg. Unsere Recherchen zeigen, dass noch immer zu viele Menschen auf der Straße Leben. 

Trotz seiner Arbeit als Leiter hat Brandenburg täglich mit obdachlosen Menschen zu tun. Obdachlosigkeit bedeutet für die Betroffenen häufig große Unsicherheit und vor allem Angst.

“Obdachlosigkeit wird verdrängt.”

Kilian Brandenburg

Das Problem Obdachlosigkeit wird in Nürnberg oft verdrängt. Allein 2.400 Obdachlose leben in Nürnberg, wie die Stadt auf deinNämberch.de-Anfrage mitteilt. Deutschlandweit: mehr als 40.000.. Dabei sind es sind nicht nur Passanten, die lieber wegsehen und einen großen Bogen um die obdachlosen Menschen machen. Auch die Stadt selbst tut einiges, um Obdachlosen-Ansammlungen zu verhindern oder aufzulösen.

“Es wird versucht, Obdachlosigkeit zu verstecken.”

Kilian Brandenburg

Verschärfte Kontrollen und Alkoholverbot lösten typische Obdachlosen-Brennpunkte wie den Hauptbahnhof auf. “Deshalb wird auch an einigen öffentlichen Orten wie Bankfilialen oft klassische Musik gespielt”, so Kilian Brandenburg. “Die Musik soll die Obdachlosen davon abhalten, sich zu lange an diesem Ort aufzuhalten”.

Ein Klischee

Nicht immer aber lassen sich Obdachlose direkt als solche erkennen. Viele legen wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild. Das typische Bild von alter zerrissener Kleidung und einem verwahrlosten Menschen, der mit Schnapsflasche auf einer Parkbank liegt, bestätigt sich häufig nicht mehr. Wie viele andere Menschen auch, möchten Obdachlose ihre Würde behalten und zumindest optisch den Anschein wahren, ein bürgerliches Leben zu führen. Doch nur weil man manchen Menschen die Obdachlosigkeit nicht mehr ansieht, macht es sie nicht weniger hilfsbedürftig. So viel steht fest.

Kilian Brandenburg kennt die Probleme der Obdachlosen. Er weiß, dass viele von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Ihnen werden kaum Möglichkeiten geboten, an einem gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Und das nicht nur, weil ihnen dafür die finanziellen Mittel fehlen. Sie werden nicht ernst genommen. Auch nicht ihre Probleme. Es fehlt das Verständnis für ihre Situation.

“‘Warum suchen sie sich nicht einfach Hilfe’ sind Sätze, die ich schon häufig in Verbindung mit Obdachlosigkeit gehört habe”, sagt Brandenburg. Bürokratie und die zunehmende Digitalisierung ist eine der größten Hürden für viele Obdachlose, um aus ihrer Situation herauszufinden. Für den Bewerbungsprozess vieler Wohnungsgesellschaften ist Zugang zum Internet, Strom, oder ein Handy notwendig. Alles Dinge, welche obdachlosen Menschen nur selten zur Verfügung stehen. Ein Fehler im System.

Doch vielen steht auch einfach der eigene Stolz im Weg. Stolz, fremde Hilfe annehmen zu können. Zu oft wurden sie vom System schon enttäuscht.

Die Ursache

Als Einrichtungsleiter der Heilsarmee erlebt Kilian Brandenburg täglich viele Schicksale der Menschen hautnah mit. Er kennt die Geschichten dahinter und weiß, wie schnell Menschen in die Obdachlosigkeit abrutschen können. Die Gründe sind vielschichtig und reichen von steigenden Mieten bis hin zu gescheiterten Beziehungen oder Verschuldung. 

Kilian Brandenburg, der Einrichtungsleiter der Heilsarmee, erzählt.

Eine gefährliche Entwicklung: Obdachlosigkeit hat sich über die Jahre hinweg mehr und mehr verjüngt. Auch viele Jugendliche landen auf der Straße, weil sie zerrütteten Familienverhältnissen entfliehen, zu Suchtmittel greifen und abrutschen. Schicksale, die häufig schon im Kindesalter besiegelt wurden.

Hilfen für Obdachlosigkeit

“Kurzfristige Hilfen gibt es für Obdachlose genügend”, erklärt Kilian Brandenburg zufrieden. Einige Einrichtungen, wie auch die Heilsarmee, bieten Tagestreffs für sie. Dort können sie sich tagsüber aufhalten, eine warme Mahlzeit essen und ihre Kleidung waschen.

Die Stadt Nürnberg hat Notschlafstellen eingerichtet, um die Obdachlosen nachts besonders im Winter vor den eisigen und lebensgefährlichem Temperaturen zu schützen. “Jeder, der einen Schlafplatz haben möchte, kann einen bekommen”, so Kilian Brandenburg.

Jedoch bieten diese Einrichtungen nur kurzfristige Lösungen für die Probleme der Obdachlosen. “Es wird zu wenig gegen das Grundproblem getan”, sagt Kilian Brandenburg. “Auf der einen Seite ist Wohnrecht ein Menschenrecht, auf der anderen Seite wird zu wenig wird für bezahlbaren Wohnraum getan.”

Die Heilsarmee – endlich ein Zuhause

In der Heilsarmee finden viele Obdachlose endlich das, wonach sie sich so lange gesehnt haben: ein Zuhause. Die Heilsarmee ist eine stationäre Einrichtung der Wohnungsnotfallhilfe, wie es heißt. Als ein Heim bietet es Platz für mehr als 200 wohnungslose Männer. In einer separaten Einrichtung gibt es zusätzliche Zimmer für wohnungslose Frauen. Das sind erfahrungsgemäß aber deutlich weniger.

Die Heilsarmee in Gostenhof (©Heilsarmee Sozialwerk Nürnberg)

Jeder, der Hilfe braucht, ist in der Heilsarmee willkommen. Dabei ist es Kilian Brandenburg besonders wichtig, jedem Bewohner auf lange Sicht gesehen ein Einzelzimmer geben zu können. “Dann können sie die Tür hinter sich zu ziehen und wissen, dass das jetzt erstmal ihr Rückzugsort ist”. Die Bewohner bekommen so endlich die Privatsphäre, die ihnen so lange fehlte.

Ziel er Heilsarmee ist es, den Bewohnern zurück ins Leben zu helfen. Sozialpädagogen bieten den Bewohnern neben emotionaler Unterstützung auch ihre Hilfe bei Brief- und Behördenangelegenheiten an.

Auch erhalten die Bewohner einen geregelten Tagesablauf, feste Mahlzeiten und eine Aufgabe, um wieder das Gefühl zu bekommen, im System gebraucht zu werden. In der Heilsarmee zum Beispiel gibt es eine Schreinerei, eine Schlosserei, eine Malerei, eine Hausmeisterei, sowie eine Hauswirtschaft mit Wäscherei und Küche. In allen Bereichen haben die Bewohner die Möglichkeit, mitzuarbeiten und ihre Fähigkeiten einbringen zu können. Der Alltag der Bewohner bekommt wieder eine Struktur. “Ziel ist es, sie wieder fit zu machen, für ein eigenständiges Leben da draußen”, so Kilian Brandenburg.

Doch nicht alle Bewohner finden ihren Weg zurück in die Selbstständigkeit. “Wir haben hier Menschen, die wirklich erst gehen, wenn sie herausgetragen werden. Sie sterben hier, weil es ihr Zuhause ist”, sagt Kilian Brandenburg.

Mensch ist Mensch

Die Heilsarmee behandelt jeden Menschen gleich. “Jeder Mensch ist Gottes Geschöpf und hat eine Würde von Geburt an”, sagt Kilian Brandenburg. Als christliche Organisation hat es für sie oberste Priorität, jeden respektvoll zu behandeln. “Natürlich ist das nicht immer leicht”, sagt Brandenburg. Schließlich haben die Menschen, die zur Heilsarmee kommen, viel erlebt und vermutlich ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen gehabt. Und tun es vielleicht noch immer.

Wir finden: Schön, dass es Einrichtungen wie die Heilsarmee in Nürnberg gibt. Ein Ort, an dem Obdachlose nicht mehr ausgegrenzt werden. Nicht weniger Wert sind. Nicht als ein Problem gesehen werden, sondern als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft, die in ihrem Leben einfach weniger Glück hatten, als wir.