InterviewGegen digitale Monster: Kreative Ideen von Spieledesigner Markus Utomo
Markus Utomo wollte eigentlich Kinderarzt werden – heute entwickelt er Spiele, die gegen digitale Überforderung helfen. Der Spieledesigner aus dem Saarland erklärt im Interview, warum Nürnberg für ihn Nerdparadies und Kreativknotenpunkt zugleich ist – und wie ein Kartenspiel zur Medienkompetenz beiträgt.
Spieledesigner Markus Utomo. Alle Fotos: Nadine Rodler
Wie ist deine Beziehung zu Nürnberg? Ich bin im Saarland aufgewachsen und fühle mich dort verwurzelt, doch Nürnberg hat mich sofort in seinen Bann gezogen. In meiner ersten Nacht hier übernachtete ich neben dem Ultra Comix, einem dreistöckigen Paradies voller Comics, Spiele und Nerdkram. Ich war im Nerdhimmel. Zusätzlich gibt es in Nürnberg diese perfekte Mischung aus Geschichte, Kultur, Kreativität und einem sehr geerdeten Miteinander. Und natürlich: Nürnberg ist die Spiele und Spielzeugstadt schlechthin. Für jemanden wie mich ist das der perfekte Standort.
Was macht Nürnberg für dich besonders? Die Spielwarenmesse ist für mich als Spieledesigner ein großer Pluspunkt. Ich sage immer: „Einmal im Jahr kommen alle zu mir!“ Dazu kommen viele weitere Anknüpfungspunkte für Spiele in der Stadt: das Spielzeugmuseum, das Spielearchiv oder die Emapmos Spiele-KI der TH Nürnberg. Doch was mich wirklich hält, sind die Menschen und das Netzwerk. Hier trifft man auf Leute mit Haltung, Ideen und dem Mut, Dinge anders zu machen. Für mich ist Nürnberg ein Kreativ-Knotenpunkt mit viel Potenzial, an dem ich gerne mitarbeite.
Wieso bist du Spieledesigner geworden? Ursprünglich wollte ich Kinderarzt werden. Da ich noch meinen Wehr- oder Zivildienst ableisten musste, empfahl mir die Uni, mit Kindern zu arbeiten, um meine zukünftige Zielgruppe besser kennenzulernen. Ich verbrachte ein Jahr im Kindergarten in einer Erzieherrolle. Die Kinder dort langweilten sich oft mit ihrem Spielzeug, oder es war kaputt. Also reparierte ich altes Spielzeug oder baute ich neue Spiele. Die Freude der Kinder an meinen ersten Entwürfen begeisterte mich, und ich fragte mich, wer diese Spielzeuge entwirft. Ist das ein Beruf? An der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle fand ich die Antwort. Dort konnte ich Spiel- und Spielzeugdesign studieren, ein Spezialgebiet des Industriedesigns. Nach Aufenthalten in Tokio und Oslo, wo ich Interaction Design studierte, begann ich als Spielzeugdesigner in Nürnberg und machte mich 2016 selbstständig. Noch im selben Jahr zeichnete mich die Bundesregierung als Kultur- und Kreativpilot aus. Dieser Preis war ein hervorragender Start, und mittlerweile arbeite ich für große Unternehmen in der Luftfahrt- und Automobilbranche, in der Hotellerie und für Consulting-Unternehmen im Bereich Serious Games. Auch durch meine Arbeit in branchenfremden Unternehmen, um dort spielerische Markenbildung zu betreiben, kann ich die Spiele- und Spielzeugentwicklung wirtschaftlich erfolgreich gestalten.
Was zeichnet ein gutes Spiel aus? Ein gutes Spiel zieht dich in seinen Bann, bevor du es merkst, und lässt dich schlauer, wacher oder zumindest mehr bei dir selbst zurück. Es muss nicht laut oder komplex sein, aber es braucht Klarheit, emotionale Tiefe und Spannung. Und: Es muss freiwillig sein. Niemand spielt aus Zwang. Genau deshalb ist Spiel ein starkes Lernmedium.
Wann und warum ist der Bereich Serious Games entstanden? Der Begriff Serious Games stammt aus dem Jahr 1970 von Clark C. Abt, der das Konzept der spielerischen Vermittlung ernsthafter Inhalte beschrieb. Mit der Verbreitung digitaler Medien gewann das Konzept an Bedeutung: Gamification wurde populär. Lernspiele für Unternehmen, etwa in E-Learning und Compliance-Schulungen, entstanden. Auch NGOs, Wissenschaft und Museen nutzen Games für Aufklärung und Engagement.
Aber wieso können Menschen durch das Spielen leichter lernen? Lernforschung zeigt: Menschen lernen am besten, wenn sie emotional beteiligt sind, eigene Entscheidungen treffen und das Gelernte mit Sinn verknüpfen. Gut gemachte Spiele leisten genau das. Sie machen Themen zugänglich, ohne sie zu banalisieren, und schaffen Lernräume, in denen Fehler erlaubt sind. Wer spielt, übt Zukunft.
Welche Projekte verfolgst du aktuell? Unser Kartenspiel „Digitale Achtsamkeit“ ist in die zweite Auflage gegangen, nach dem Erfolg auf der SPIEL Essen und vielen Workshops in Schulen, Unternehmen und Bildungsinstitutionen. Lehrende, Medienpädagogen und deren Schüler sind begeistert. „Digitale Achtsamkeit“ hilft, den Umgang mit digitalen Medien zu reflektieren, ohne Zeigefinger, aber mit Humor und Tiefe. In kleinen Gruppen treten die Spielenden gegen digitale Monster an, die Herausforderungen unserer Online-Welt verkörpern: der Scroll-Süchtling, der Smartphone-Zombie oder der Vergleichs-Vampir. Mit Wissenskarten voller Impulse, Fakten und Argumente zähmen sie diese Monster. Dabei diskutieren die Spielenden, wer das Monster am besten besiegen kann. Wer hat die stärkste Karte oder den besten Gedanken? So reflektieren sie automatisch ihr Verhalten. Das Spiel ist ein Wissensframework, mit dem wir jegliches Wissen vermitteln können.
Zusammen mit der Nürnberger Agentur stilbezirk haben wir ein Spiel für Markenentwicklung entwickelt und beschlossen, ein Unternehmen rund um Monsterkarten und Serious Games zu gründen: BOSODO Games! BOSODO Games arbeitet mit Autoren, Unternehmen und Universitäten an Themen wie Medizinische Ethik, Markenbildung, Onboarding, Demokratie oder Erste Hilfe. Immer mit dem Ziel, komplexe Themen spielerisch zugänglich zu machen. Außerdem entwickeln wir ein spielerisches Retreat-Format am Fluss, bei dem man mit (Monster)Karten gegen digitale Überforderung kämpft und mit klarem Kopf und vielen anwendbaren Learnings zurückkehrt.